Der Begriff "Tantra" beschreibt eine Vielzahl spiritueller Traditionen und Praktiken, die ihren Ursprung in Indien und Tibet haben. Tantra vereint spirituelle, meditative und rituelle Praktiken mit dem Ziel, Bewusstsein und Erleuchtung zu erlangen. Im Gegensatz zu anderen spirituellen Traditionen Indiens, die stark von Brahmanen und dem Kastensystem geprägt sind, ist Tantra lebensnah und öffnet den Weg auch für Laien. Körperliche und sinnliche Erfahrungen werden nicht ausgeschlossen, sondern bewusst in den spirituellen Weg integriert.
Indisches und Buddhistisches Tantra
Indisches Tantra entstand ab dem 2. Jahrhundert und strebt die Vereinigung von Shiva (Bewusstsein) und Shakti (Energie) an. Dieses nicht-dualistische Konzept verdeutlicht, dass alles im Universum eins ist. Sexualität wird hier meist symbolisch verstanden und ist in vielen Schulen kein praktisches Element, sondern Ausdruck der Vereinigung von Gegensätzen. In einigen Strömungen, insbesondere im linkshändigen Tantra (Vamamarga), werden sexuelle Rituale jedoch explizit in die Praxis eingebunden, sind aber Eingeweihten vorbehalten und keine alltägliche Praxis.
Im Gegensatz dazu hat der tantrische Buddhismus, besonders im Vajrayana, eine eher meditative Ausrichtung. Hier spielt die Sexualität eine symbolische Rolle: Die sexuelle Vereinigung steht für die Vereinigung von Weisheit (prajna) und Mitgefühl (karuna), aber sie wird in einem strikt spirituellen Kontext gesehen. Körperliche Vereinigung dient nicht dem persönlichen Vergnügen, sondern der Überwindung des Egos und der Dualität. Der Buddhismus lehnt exzessiven Genuss ab, und Sexualität wird nur als Werkzeug der spirituellen Transformation genutzt – fern von weltlichen Begierden.
Während im Vajrayana der Körper eine untergeordnete Rolle spielt, sieht das indische Tantra ihn als wichtiges Werkzeug für die Überwindung der Dualität. Doch auch hier ist die sexuelle Praxis auf einen kleinen Kreis von Eingeweihten mit jahrelanger Praxis beschränkt.
Neo-Tantra
Neo-Tantra, eine westliche Adaption des klassischen Tantras, entstand im 20. Jahrhundert und legt besonderen Wert auf den freien und bewussten Umgang mit Sexualität. Unter dem Einfluss von Osho (1931-1990) und anderen westlichen Lehrern rückte der sexuelle Aspekt stark in den Vordergrund. Während das klassische Tantra Sexualität eher symbolisch oder in rituellen Kontexten verstand, betrachtet Neo-Tantra sie als zentrale Komponente des spirituellen Wachstums. Sexualität wird hier als kraftvolle Energiequelle angesehen, die es erlaubt, sich selbst besser zu erkennen und gesellschaftliche Zwänge zu überwinden. Osho betonte, dass Tantra ein Weg sei, sich von gesellschaftlichen und moralischen Einschränkungen, insbesondere in Bezug auf Sexualität, zu befreien.
Sexualität wird im Neo-Tantra als natürlicher und positiver Ausdruck des Lebens gefeiert. Es gibt zahlreiche Schulen und Praktiken, die diesen Ansatz weiterentwickelt haben, darunter das Diamond Lotus Institut von Andreas Andro Rothe (1941-2019) in Berlin oder das SkyDancing Institute von Margot Anand (*1944) in der Schweiz. Sie bieten Raum, um Sexualität als Teil der spirituellen Praxis zu erforschen – sei es durch tantrische Massagen, körperzentrierte Übungen oder meditative Rituale.
Tantramassage im Westen
Im Westen hat sich die Praxis der Tantramassage als eigenständiges Feld entwickelt, das oft nur noch lose mit dem spirituellen Erbe des Neo-Tantras verbunden ist. Die Tantramassage nutzt sexuelle Energien im Kontext von Bewusstseinserweiterung und somatischem Lernen. Dabei wird eine bewusste, respektvolle und achtsame Berührung des Körpers praktiziert, um Energien zu aktivieren und den Zugang zu tieferen emotionalen und spirituellen Ebenen zu ermöglichen. Die Praxis als ganzes ist an die Bedürfnisse des Westens angepasst (z.B. in Urban Tantra von Barbara Carellas) und mit anderen Ansätzen kombiniert, etwa dem traumasensitiven Arbeiten.
Die Berufsbezeichnung «Tantramasseur*in» ist nicht geschützt. Verschiedene Verbände haben Richtlinien und Standards aufgestellt, um die Qualität dieser Arbeit zu gewährleisten. In der Schweiz sind dies der
Förderverein und der
Berufsverband Tantramassage, in Deutschland der
Tantramassage-Verband e.V. sowie die Plattform
Trusted Bodywork. Diese stellen Anforderungen bezüglich der Ausbildung und haben einen Ehrenkodex.
Die genannten Verbände grenzen Tantramassage von Sexarbeit ab: In einer Tantramassage bei den von ihnen zertifizierten Anbieter*innen sind Oralsex, sexuelle Vereinigung und gegenseitige sexuelle Aktivitäten ausgeschlossen. Dies gilt auch für mein Angebot. Es bedeutet aber in keiner Weise eine moralische Verurteilung oder Abwertung von Kolleg*innen, welche solche Dienstleistungen anbieten - wir offerieren schlicht einen unterschiedlichen Service.