A wave symbolizing the flow of tantra.

Freiheit und Herausforderung.
Wie Sexualität in Gemeinschaft gelebt werden kann.

Sex ist allgegenwärtig. Die meisten von uns erleben ihn jedoch privat, hinter verschlossenen Türen. Doch es gibt auch andere Wege, Intimität und Sinnlichkeit zu erfahren – in Gemeinschaft.

Sex in der Gemeinschaft mag erst einmal ungewohnt klingen, aber das Konzept ist alles andere als neu. Tatsächlich sind Schlafzimmertüren ja eine relativ junge Erfindung.

Die Entstehung von Scham

In der Tierwelt ist es üblich, dass Sexualität offen und ohne Scham praktiziert wird. Tiere paaren sich oft vor anderen, ohne dass dies als peinlich oder unangemessen empfunden wird.

Beim Menschen sieht das anders aus. Auch bei indigenen Völkern, die eine enge Verbindung zur Natur haben und oft leicht bekleidet oder nackt leben, gibt es Vorstellungen von Scham. Sexualität wird dort nicht öffentlich zur Schau gestellt, und Intimität bleibt in der Regel privat. Diese Völker haben oft strikte Regeln, was das Zusammenleben und die öffentliche Darstellung des Körpers betrifft, auch wenn sie der westlichen Idee von Kleidung fernstehen.

Ausschweifungen in der Antike, Keuschheit im Mittelalter

In der Antike hingegen wurde Sexualität auch in Gemeinschaft erlebt. Die Griechen und Römer organisierten berüchtigte Feste, bei denen Sex in Gruppen gefeiert wurde. Bei den Dionysien, Festen zu Ehren des Gottes Dionysos, wurden Ekstase und Sinnlichkeit gemeinsam zelebriert. Ähnliche Feste fanden in Rom statt: Die Bacchanalien waren ausschweifende Feiern, bei denen sich die Teilnehmenden im Rausch miteinander verbanden.

Im Mittelalter wurde Sexualität weitgehend unterdrückt und verheimlicht. Die Kleidung spielte dabei eine grosse Rolle: Nonnen und Mönche, aber auch der Großteil der Bevölkerung, verhüllten ihre Körper in weiten Roben und Kutten. Diese Kleidung diente nicht nur der Bescheidenheit, sondern auch dazu, die Sexualität zu negieren. Der Körper, insbesondere in religiösen Kreisen, galt als etwas, das es zu kontrollieren und zu verbergen galt. Sexualität war eine Sünde, die den moralischen und geistigen Zielen des christlichen Lebens im Weg stand. Diese Haltung prägte das gesamte gesellschaftliche Leben.

Charles Fourier und die Befreiung der Sexualität

Ein wichtiger Denker in Bezug auf die Befreiung der Sexualität war der französische Philosoph Charles Fourier (1772–1837). Fourier träumte von einer utopischen Gesellschaft, in der alle menschlichen Leidenschaften frei ausgelebt werden könnten – auch die Sexualität. Er sah die Unterdrückung der Sexualität als eines der größten Hindernisse für das individuelle Glück und das soziale Miteinander. In seinen Ideen für eine harmonische Gesellschaft, die er „Phalanstère“ nannte, war Sexualität nicht nur erlaubt, sondern wurde als zentraler Teil des Lebens verstanden. Fourier forderte, dass die Menschen ihre sexuellen Bedürfnisse ohne Scham oder Schuld ausleben dürften. Damit legte er einen wichtigen Grundstein für spätere Bewegungen, die sexuelle Freiheit als zentrales Element von persönlicher und gesellschaftlicher Emanzipation betrachteten.

Utopische Gemeinschaften der Neuzeit

In der Neuzeit entstanden zahlreiche Gemeinschaften, die Sexualität als festen Bestandteil ihres Lebensmodells verstanden. Sie sahen Sex nicht nur als privaten Akt, sondern als etwas, das das soziale und spirituelle Miteinander stärkt. Diese Gruppen experimentierten mit neuen Wegen des Zusammenlebens und legten besonderen Wert auf sexuelle Freiheit. 

Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Oneida-Gemeinschaft in den USA im 19. Jahrhundert. Gegründet von John Humphrey Noyes, lebte die Gemeinschaft nach dem Prinzip der „komplexen Ehe“, bei dem alle Mitglieder als Ehepartner füreinander galten. Hier wurde Sexualität als spirituelle Praxis angesehen. Besitzansprüche oder Eifersucht sollten dabei keinen Platz haben.

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Monte Verità: Ein Experiment in Freiheit

Eine weitere bedeutende Bewegung bildete sich auf dem Monte Verità im Tessin, Schweiz. Ab 1900 trafen sich hier Aussteiger, Künstler und Freigeister, um alternative Lebensformen zu erproben. Das Leben auf dem Monte Verità war stark geprägt von  Naturverbundenheit und Selbstverwirklichung. Einzelne Exponent*innen hingen den Idealen Charles Fouriers an. Die Gründer*innen wollten eine utopische Lebensgemeinschaft schaffen, die sich von den Zwängen der industrialisierten Gesellschaft befreite.

Ein zentrales Element des Lebens auf dem Monte Verità war die Freikörperkultur. Die Bewohner lebten oft nackt, um ihre Freiheit auszudrücken und ein neues Bewusstsein für den Körper zu entwickeln. Sie sahen Sexualität als natürlichen und spirituellen Ausdruck des Menschen. Gleichzeitig wollten sie sich von gesellschaftlichen Zwängen und Monogamie lösen und erlebten die freie Liebe auf verschiedene Weisen.

Kommune 1: Die sexuelle Revolution in Berlin

Ein anderes Beispiel ist die legendäre Kommune 1, die 1967 in West-Berlin gegründet wurde. Diese Gemeinschaft war eine der ersten, die im Rahmen der sogenannten „sexuellen Revolution“ traditionelle Moralvorstellungen in Frage stellte. Die Mitglieder der Kommune, darunter bekannte Persönlichkeiten wie Rainer Langhans, lebten in einer offenen Umgebung, in der freie Liebe und gemeinschaftliches Leben als politisches Statement verstanden wurden.

ZEGG und Tamera: Gemeinschaften für freie Liebe und Transparenz

Das ZEGG (Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung), gegründet 1991 in Deutschland, ist eine der bekanntesten Gemeinschaften, die sich der Erforschung alternativer Beziehungs- und Sexualitätsformen widmet. Hier geht es vor allem um emotionale Ehrlichkeit, Vertrauen und Transparenz. In den „Liebes- und Beziehungsforschendenkreisen“ sprechen die Teilnehmenden offen über ihre Gefühle, Ängste und Sehnsüchte. Sexualität wird als etwas verstanden, das im Einklang mit diesen Gefühlen gelebt werden kann.

Ähnlich ist die Gemeinschaft Tamera, die 1995 in Portugal gegründet wurde. Stark von den Werten des ZEGG inspiriert, sieht sich Tamera als „Heilungsbiotop“. Hier wird Sexualität als natürliche Energiequelle betrachtet, die frei von Monogamie, Schuld oder Scham erlebt werden kann. Offenheit, Vertrauen und Gemeinschaft stehen im Vordergrund. Ziel ist es, eine friedliche Art des Zusammenlebens zu erforschen und zu verwirklichen.

Fazit: Sexualität in gemeinschaftlichen Räumen

Diese Gemeinschaften haben gezeigt, dass Sexualität nicht nur ein privates Erlebnis zwischen zwei Menschen sein muss. Sie haben Räume geschaffen, in denen Menschen ihre Sinnlichkeit miteinander teilen und neue Wege des Zusammenlebens erkunden können. Dabei stehen Offenheit, Vertrauen und der Wunsch, gesellschaftliche Normen zu hinterfragen, im Mittelpunkt.